Die Entdeckung des Porno-Codes


Gibt es ihn, den Porno-Code? Eine mathematische Formel, nach der Maschinen errechnen können, ob ein Foto pornografische Inhalte zeigt oder nicht? Ja, so etwas gibt es, sagt Dennis Wetzig (31), ein Potsdamer Software-Unternehmer, der mit dem Informatiker Stefan Bär (33) Algorithmen entwickelt, mit denen ein Computerprogramm errechnen kann, was auf einem Bild zu sehen ist. Oder besser, was Menschen auf Bildern erkennen können. Denn sein Programm ist nicht klüger als der Mensch, aber man kann dem Programm sagen, was es unter Pornografie versteht, und dann das Programm entsprechende Inhalte suchen lassen, die den vorgegebenen Kriterien entsprechen. Vollautomatisch, schnell und mit einer hohen Treffsicherheit.

Ein weites Feld. Auf über 90 Prozent schätzen Experten den Anteil von pornografischen Filmen und Fotos im Internet. Aber wie dieser Flut Herr werden? Ganze Großraumbüros voller Mitarbeiter sind damit beschäftigt, unliebsame Bilder – und das müssen nicht nur Pornos sein – aus Internetauftritten fernzuhalten. Vor allem bei Web-Auftritten, die mit sogenanntem “user generated content”, also mit von Benutzern beigesteuerten Inhalten, arbeiten. Partnerbörsen zum Beispiel. Oder soziale Netzwerke wie Facebook.

Was Dennis Wetzig in seiner Firma Pixray erfunden hat, ist keine Zauberei und kann natürlich den jahrtausendealten Streit über Wesen und Gestalt der Pornografie nicht beenden. Aber Pixray kann dem Menschen Arbeit abnehmen – und das mit einer Art Werkzeug, das längst zu unser aller Alltag gehört.

Das Geheimnis automatischer Bildanalyse steckt heute nämlich schon in jedem neuen Passfoto. Seit der Erfindung des biometrischen Ausweisfotos geht es bei den Bildern nicht mehr nur um den Augenschein. Denn mit der Geometrie des menschlichen Körpers, der Biometrie eben, kann man Maschinen rechnen lassen. Bilder werden zu Datensätzen, die maschinenlesbar sind und von Computern zum Beispiel verglichen und interpretiert werden können. Seitdem piepsen moderne Digitalkameras von Sony, wenn Gesichter lachen oder ein Verwandter im Sucherbild auftaucht. Die Kameraelektronik liest die Gesichtszüge und kann den Onkel immer wieder erkennen, wenn man ihr einmal den Onkel namentlich einprogrammiert hat. Die Gesichtsgeometrie wird in Zahlen gespeichert und vom Computer in der Kamera mit allen Gesichtern verglichen, die uns vor die Linse kommen. Und beim Onkel piept’s dann eben.

Und nicht nur beim Onkel, sondern bei bald 700 Millionen Nutzern des sozialen Netzwerkes Facebook auch. Dort, wo die Bilderberge jeden Tag höher zum Himmel wachsen. Facebook gerade erst eine Gesichtserkennungssoftware freigeschaltet. Auch im privaten Fotoalbum kann sich niemand mehr verstecken, seit Google zu seiner Bildbearbeitungssoftware Picasa eine Gesichtserkennung anbietet. Ein Knopfdruck, und Picasa sortiert die ganze liebe Verwandtschaft.

Digitale Bildverarbeitung ist ein viel benutztes Werkzeug geworden und steckt doch gerade mal in den Anfängen. Die Anwendungsgebiete für “sehende Automaten” sind nahezu grenzenlos – von der Astronomie bis zur Qualitätskontrolle in der Produktion. Joghurtbecher werden mit optischer Mustererkennung aus dem Müll gefischt, und defektes Geschirr auf Kantinenlaufbändern wird aussortiert. Das Marktvolumen für Bilderkennungssysteme wird von Marktbeobachtern auf weltweit über zehn Milliarden Euro geschätzt, allein in Deutschland auf mehr als eine Milliarde.

An diese Milliarden will Dennis Wetzig heran, zumindest an einen Teil davon – mit einem neuen Werkzeug zur Klassifizierung von Fotos. Wetzig hat bereits als 18-Jähriger eine Firma für mobile Bezahlmodelle gegründet. Per Handy einkaufen kann man damit. Pixray heißt sein neuestes Start-up-Unternehmen seit März 2011. Es ist angesiedelt im Umfeld des renommierten Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts. Dort entwickelte Dennis Wetzig mit einem knappen Dutzend Mitarbeitern eine Software, die gleich ein ganzes Bündel von Methoden zur Bildanalyse unter einer gemeinsamen Nutzeroberfläche vereint. Seine Geschäftsidee ist es, den Betreibern von Internetauftritten, die mit vielen Fotos arbeiten, die Arbeit zu erleichtern.

Partnerschaftsbörsen zum Beispiel haben das Problem, dass die von den Benutzern eingesandten Fotos Stück für Stück daraufhin geprüft werden müssen, ob sie auch für den Zweck geeignet sind. Diese Auslese sorgt nämlich für viel Mühe und dementsprechend hohe Personalkosten. Die Software arbeitet dagegen vollautomatisch einen Kriterienkatalog ab, der individuell für das jeweilige Internetgeschäft angepasst werden kann. Zunächst ist da die Frage, ob ein Foto wirklich nur eine Person zeigt. Dann gelten – je nach Zielgruppe und sonstigen Kriterien des Angebots – ethische Kategorien. Ist das Foto zum Beispiel nach dem Geschäftsmodell der Kontaktbörse als anstößig zu bewerten? Zeigt es etwa zu viel Haut? Wenn ja, welche?

Das Programm muss nicht auf den Rechnern des Kunden laufen. Pixray, der Firmenname setzt sich zusammen aus dem Wort für Bildpunkte (Pixel) und dem englischen Wort für Röntgenstrahlen (X-Ray), arbeitet als “software as a service”. Sie werden nach Potsdam geschickt, von Pixray klassifiziert und zum Kunden zurückgeschickt. Der Webseiten-Betreiber kann sich dann auf die Pixray-Auswahl verlassen oder seine Mitarbeiter noch einmal darüber schauen lassen. Später soll auch eine Version zur Verwendung auf Laptops beim Benutzer entstehen. Auch als Modul zum Einbau in Programme anderer Softwarehersteller (OEM-Version), zur Fotobearbeitung oder zur Fertigungssteuerung, soll Wetzigs Programm vertrieben werden.

Einen erfolgreichen Probelauf hat Pixray bereits mit dem Webseiten-Betreiber Holidaycheck AG hinter sich. Das ist ein Internetangebot zum Austausch von Urlaubserfahrungen. Abertausende Touristen bewerten dort Reiseveranstalter mit Kommentaren und Urlaubsfotos von Hotels, Stränden und anderen Freizeiteinrichtungen. Diese Bilder mussten bislang einzeln geprüft werden. Sind Personen zu sehen, die erkannt werden können und so deren Recht am eigenen Bild verletzt wird? Geben die Bilder einen Eindruck von der Qualität eines Reiseveranstalters, oder wurden nur mehr oder weniger lustige Familienfotos eingesandt, die niemanden interessieren außer denjenigen, der sie gemacht hat? Für all das kann die Pixray-Software genau konfiguriert werden.

Als weitere Anwendungsfelder bieten sich die Suche nach Kinderpornografie oder das Aufspüren von fremdenfeindlichen Bildmotiven oder gar Nazi-Symbolen an. Die Frage, wie das alles funktioniert, führt tief in das Spezialgebiet der Mustererkennung und Algorithmisierung von visuellen Daten. Grundsätzlich funktioniert automatisierte Bildanalyse auf zwei Wegen. Zum einen kann ein Foto mit einer Vorlage auf Wiedererkennung verglichen werden wie zum Beispiel beim biometrischen Passbild. Das ist der einfachere Fall. Schwieriger wird es, wenn aus den Millionen von Pixeln eines Fotos Strukturen, Farbverläufe und Bildaufbau analysiert werden sollen. Das Betriebsgeheimnis von Pixray besteht also darin, mit welchen vom Laien wählbaren Filtermethoden ein Foto untersucht wird. Der Benutzer kann individuelle Geschmacks-, Scham-, oder ästhetische Vorstellungen setzen und entsprechende Filterdurchläufe veranlassen.

“Die Nachfrage nach unseren Produkten ist sowohl seitens der Anbieter von ,user generated image content’ als auch von Markenrechteinhabern überwältigend”, sagt Wetzig. Und wo liegen Grenzen für die automatische Bildanalyse? “Dort, wo ein Kulturkreis endet und ein anderer anfängt”, sagt Wetzig. “Im Orient wird man unter sittsamen Fotos etwas anderes verstehen als in Europa oder den USA.” Sein Produkt aber überschreitet solche Kulturkreise spielend. Es geht schließlich nur um einen Mausklick auf die richtige Option.


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